Vom Shoppingrausch in die Ernüchterung: Warum kaufen wir so viel?
Wie mein Mann immer so schön sagte: ich bin der perfekte Konsument. Anstatt eines Lohns, könnten mir auch Gutscheine ausgezahlt werden, die ich dann fleißig in den diversen Klamottenläden einlösen würde. Also zumindest war das vor über drei Jahren noch so. Aber warum habe ich eigentlich nicht aufhören können etwas zu kaufen, obwohl ich wusste, dass weder mein Geldbeutel noch meine Ehe, das auf lange Dauer aushalten würden? Warum machen wir immer weiter? Warum kaufen wir so viel? Wie schafft es die Industrie immer wieder unser Verlangen zu wecken?
Weniger zu kaufen fällt mir noch heute schwer
Im September 2018 startete ich mit einem für mich fast aussichtslosem Projekt. Ich hatte beschlossen ein Jahr lang auf den Kauf von Bekleidung und anderen Konsumgütern zu verzichten. Für mich, die seit ihrem 14 Lebensjahr jeden Cent für Klamotten ausgegeben hatte, ein nahezu unvorstellbarer Plan. In den letzten Monaten vor meiner Shoppingabstinenz hatte der Kaufwahnsinn seinen Höhepunkt erreicht.
Schon lange konnte ich keine Pakete mehr nach Hause bestellen, da dies zu auffällig war. Mehrmals pro Woche fuhr ich nach der Arbeit ins Einkaufszentrum, um dort meiner Sucht nachzugehen. Dann konnte ich die Sachen so lange im Auto verstecken, bis sie ihren Weg heimlich in meinen Kleiderschrank fanden. Die Auseinandersetzungen zu Hause und auch die Anmerkungen aus dem Verwandtenkreis zu meinen Kaufverhalten wurden immer häufiger.
Long story short: Nach unzähligen innerlichen Kämpfen fasste ich den Entschluss ein Jahr aufs Kaufen zu verzichten und unfassbarerweise gelang es mir. Doch noch heute muss ich jeden Tag an mir arbeiten, um nicht wieder in alte Muster zurückzufallen. Noch heute muss ich Newsletter schnell wieder schließen, mich dazu zwingen mehrere Nächte über einen Kauf zu schlafen und täglich an meinem Mindset arbeiten. Dabei beschäftigt mich immer wieder die Frage: “Warum kaufen wir so viel?”
Warum kaufen wir so viel?
Diese Frage ist gar nicht immer so leicht zu beantworten. Ein Faktor ist unser ständiges Mangeldenken. Dieses wird natürlich permanent durch Werbung jeglicher Art, sei es der Banner auf einer Webseite oder ein reichweitenstarker Influencer auf Instagram oder TikTok, der wieder ein tolles, neues Produkt in die Kamera hält. Das Gefühl von Mangel ist allgegenwärtig.
Ich bin nicht genug. Nicht schön genug. Nicht erfolgreich genug. Nicht smart genug. Mit dem Kauf eines Produktes, sei es ein iPhone oder eine Gucci Tasche, wird unserem Unterbewusstsein suggeriert, wir seien nur mehr wert und würden uns besser fühlen, wenn wir dieses oder jenes besitzen. Wir wollen eine Lücke im Innen mit Konsum im Außen füllen.
Wir bilden uns ein durch die Produkte eleganter, kreativer, innovativer, kompetenter oder was uns auch immer gerade, unserer Meinung nach fehlt, zu wirken. So einfach und so effektiv. Nicht nur bei mir, sondern bei einem sehr großen Teil der Gesellschaft wird so die Lust auf immer mehr Konsum geschürt.
Im letzten Jahr (2020) lagen die Gesamtausgaben für Bekleidung und Schuhe in Deutschland bei 54,72 Milliarden EURO (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/283616/umfrage/konsumausgaben-fuer-bekleidung-in-deutschland/) Ein deutlicher Rückgang zu den Jahren davor. Zu berücksichtigen gilt hier natürlich die absolute Ausnahmesituation bedingt durch die Corona-Pandemie. Wir dürfen gespannt sein, wo uns die Kurve im Jahr 2021 führt.
Schauen wir kurz auf die Zeit vor der Pandemie. Laut deutschland.de lagen 2019 die Ausgaben für Bekleidung mit gerade mal 4,4% nur auf Platz 7 der insgesamt 10 genannten Posten. Das scheint jetzt auf den ersten Blick gar nicht so viel zu sein. Schaut man sich jedoch den Anteil für Bildung mit 0,7% an, der damit auf Platz 10 landet, wird einem schon etwas anders. (Quelle: https://www.deutschland.de/de/topic/leben/konsumausgaben-dafuer-geben-deutsche-ihr-geld-aus )
98 Prozent unserer Entscheidungen trifft unser Unterbewusstsein
Viele Forscher haben sich bereits mit der Frage: “Warum kaufen wir so viel?” auseinandergesetzt. Dabei ergaben sich folgende Erkenntnisse. Bei Rabattaktionen springt das Belohnungssystem unseres Gehirns an. Unsere vordere Großhirnrinde, die für das rationale Denken zuständig ist, hingegen setzt währenddessen aus. Unsere Kaufentscheidungen treffen in fast allen Fällen nicht aufgrund der Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen, sondern aus emotionaler Perspektive heraus. Bevor sich unser Kopf einschaltet, hat unser Bauch schon längst gesagt wo es lang geht. Da unser Unterbewusstsein schon lange darauf konditioniert ist, dass Rabatte und Sales mit positiven Gefühlen verknüpft sind, fährt unser Körper automatisch immer wieder dieses Programm.
Aus den bisherigen Erfahrungen haben wir gelernt, dass ein (vermeintlich) günstiger Aktionskauf das pure Glück ist. Umso öfter wir diese Handlung wiederholen, umso selbstverständlicher läuft dieses Programm in unserem Inneren ab. Die Grundsteine für eine Gefühlsautobahn sind gelegt. Da schnelle Straßen für unser Gehirn weniger Aufwand bedeuten als holprige Sandwege, nehmen wir immer wieder die Auffahrt auf den Superhighway.
Natürlich fragt sich auch das Marketing: “Warum kaufen wir so viel?” und macht sich diese menschlichen Mechanismen zunutze. Dabei werden sieben unterschiedliche Muster benutzt, die dazu animieren mehr zu kaufen:
- FOMO (Fear of Missiong out): Wie häufig haben wir es schon erlebt, dass ein Produkt künstlich verknappt wird, um uns zu suggerieren, dass es davon nur noch wenige gibt. Allein der Gedanke daran, dass wir etwas verpassen könnten, lässt uns panisch werden. Also schnell noch in den Warenkorb damit. Puhhh nochmal Glück gehabt.
- künstliche Exklusivität: Noch vor ein paar Jahren waren Shoppingclubs der heiße Scheiß. Die Produkte waren besonders beliebt, weil dem Kunden vermittelt wurde, dass er nur über eine Einladung in den Kreis der Elite-Shopper aufgenommen kann. Exklusiv nur für dich, du bist etwas gaaaanz besonderes!
- Retourebonus: Wir neigen eher dazu etwas zu kaufen, wenn wir denken, dass wir dabei kein Risiko eingehen. Wir können die Produkte ja immer wieder zurückschicken, umtauschen oder unser Geld zurückverlangen. Meist ist es jedoch so, wenn wir die Sachen erst einmal zu Hause haben, dann bleiben sie auch meist dort. (Das kann ich zumindest aus eigener Erfahrung so sagen.)
- Bargeldlos bezahlen: Unser Schmerzzentrum wird aktiviert, wenn wir tatsächliches Papiergeld auf den Tresen legen müssen. Diesen unangenehmen Nebeneffekt des Einkaufens gibt es zum Glück in den Online-Shops nicht. Das ist nicht nur bequemer, sondern tut auch weniger weh. Hier ist meine Kreditkarte oder noch besser mit zwei Klicks via PayPal oder Klarna bezahlt. Soooo schön einfach!
- die goldene Mitte: Ach nee zu teuer! Boah viel zu günstig das kann nicht gut sein.! Ach hier ist es ja, das klassische Angebot, genau in der Mitte. Perfekt! Produkte werden eher gekauft, wenn sich neben ihnen noch teurere und günstigere Varianten finden lassen.
- die Illusion der Zugehörigkeit: Wahrscheinlich einer der häufigsten Antworten auf die Frage: “Warum kaufen wir so viel?” ist das Zugehörigkeitsgefühl. Früher wären wir ausgestorben, wenn wir aus der Gruppe verstoßen worden wären. Damit uns das unter keinen Umständen passiert, wollen wir auch heute noch uuuunnnbeedingt dazu gehören. Ansonsten sterben wir! Selbstverständlich spielt die Werbung mit diesem Urinstinkt und zeigt uns wie beliebt bestimmte Produkte bei anderen sind. Du kannst es ja mal bei dir selbst überprüfen. Klickst du bei TikTok eher aufs Herz, wenn das Video bereits von 1,7 Mio. Leuten geliket wurde oder auch, wenn es nur 24 waren?
- die Empfehlung der (fast) besten Freundin: Einen Punkt möchte ich hier nicht unerwähnt lassen. Für mich ist der Verkauf von Produkten via Instagram und TikTok (allgemein Social Media) mit der Hauptgrund, warum ich so viel eingekauft habe. Hier wirken einfach viele der zuvor angesprochenen Mechanismen zusammen. Man ist sich rational darüber im Klaren, dass man diese Produkte nicht braucht und die Dame in der Story nicht die beste Freundin ist, aber ich komme nicht umhin den Kauf-Button zu klicken. Sie empfiehlt es doch und dann hat sie auch noch einen Rabatt-Code!!!! Oh mein Gott, das muss ich haben! Sie hat ein so perfektes Leben. Das will ich auch. Wenn ich dieses Produkt kaufe, dann bin ich genauso erfolgreich, hübsch, beliebt….. wie sie.
Wie kann ich bewusster konsumieren?
Wir sind zwar keine hirnlosen Maschinen, die einfach alles nach Hause schleppen, was ihnen über den Weg läuft, aber vor Werbung und deren Einflüsse ist niemand gewahr. Auch, wenn Menschen behaupten, sie würden sich durch das Marketing nicht beeinflussen lassen, ist das ein Trugschluss. Niemand kann sich den emotionalen Botschaften entziehen. Aber, wie kann ich denn nun dagegen vorgehen?
Drei Schritte, die dir dabei helfen weniger zu shoppen:
- Achtsamkeit: Ein achtsamer Umgang mit deinen Gedanken und Gefühlen ist der erste alles. Alle Gegebenheiten, alle Handlungen beginnen mit deinen Gedanken und die Emotionalen, die diese auslösen. Daraufhin wirst du etwas tun und ein entsprechendes Ergebnis erhalten. Sei also so achtsam im Umgang mit dir selbst wie möglich. Schreibe dir deine Glaubenssätze nieder und arbeite daran diese zu transformieren.
- Bedürfnisse verstehen: Hast du analysiert, wann du besonders den Drang dazu verspürst einzukaufen. Bist du vielleicht gestresst, gelangweilt, nervös, verärgert, enttäuscht? Mache dir eine Liste mit Dingene, die diesen Gefühlen eher entsprechen würde. Zum Beispiel: ein Telefonat mit einer guten Freundin, eine Runde Yoga, Joggen, Gitarre spielen, häkeln, ein Buch lesen, gärtnern, kochen, malen, …
- Schmerz vermeiden / Freude empfinden: Unser Hirn wird von zwei wesentlichen Kriterien beeinflusst. Das ist zum einen die Vermeidung von Schmerz und zum anderen das Empfinden von Freude. Finde heraus, welche Variante dich mehr motiviert. Entweder machst du Einkaufen in deinen Gedanken zu einem so schmerzhaften Erlebnis, dass du nicht anders kannst, als die Finger davon zu lassen oder du verbindest das größte Glücksgefühl damit auf deine Ziele hinzusparen. Probiere aus, welche Version für dich am besten funktioniert. Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem.
Was denkst du, warum kaufen wir so viel? Kannst die beschriebenen Verhaltensmuster bei dir selbst beobachten? Shoppst du auch oft ungewollt zu viel? Schreib es mir gern in die Kommentare! Ich freue mich von dir zu lesen 🙂