Endlich Feierabend! Julia hat einen stressigen Arbeitstag hinter sich. Leider verlief heute nicht alles nach Plan – zuerst hat ihre Vorgesetzte ihre Präsentation zerrissen, während ihr Kollege anstatt aufmunternder Worte nur einen abschätzigen Blick für sie übrig hatte und obendrein läuft sie seit dem frühen Morgen mit einem Kaffeefleck auf ihrer Hose herum, den sie aber erst am Nachmittag im Spiegel sieht. Es gibt nur eine Sache, die sie nach diesem Martyrium aufmuntern kann – eine ausgedehnte Shoppingtour.
Zielgerichtet fährt Julia zum Einkaufszentrum. Zweieinhalb Stunden später kommt sie mit drei prallen Tüten wieder heraus. Aus dem einen Pulli, den sie unbedingt wollte, weil sie ihn gestern auf Instagram so schick fand, wurden zwei Röcke, ein Kleid, ein Schal und natürlich der Pullover. Da sie sich nicht entscheiden konnte, hat sie diesen nicht nur einmal, sondern direkt dreimal in verschiedenen Farben gekauft.
Mit gemischten Gefühlen macht sich Julia auf den Weg nach Hause. Einerseits zufrieden mit ihrer Ausbeute, andererseits mit einem schlechtem Gewissen, denn schließlich war diese Aktion gerade nicht sonderlich vorteilhaft für ihren Geldbeutel. Ich kann Julias Einkaufsverhalten nur allzu gut nachvollziehen, denn ich bin Julia.
Diese oder eine ähnliche Situation hast du vielleicht auch schon einmal erlebt. Möglicherweise fragst du dich nun des Öfteren: “Ist für mich Einkaufen Hobby oder Sucht?” Wie du diese beiden Dinge voneinander unterscheiden kannst und, ob du bereits eine Art von Abhängigkeit entwickelt hast, klären wir in diesem Blogbeitrag!
Was ist der Unterschied zwischen einem Hobby und einer Sucht?
Ein Hobby ist eine in der Freizeit ausgeübte Beschäftigung, die aus Interesse oder Neigung mit einem gewissen Eifer betrieben wird. Diese Tätigkeit wird freiwillig und regelmäßig ausgeübt und dient der Entspannung sowie dem eigenen Vergnügen. Zudem trägts das Hobby zur Definition des eigenen Selbstbildes bei und stellt einen Teil der eigenen Identität dar.
Willst du wissen, ob Einkaufen Hobby oder Sucht ist, musst du dich ebenso mit dem unangenehmen Part auseinandersetzen. Daher schauen wir uns nun näher die Erklärung für den Begriff Sucht an. Diese beschreibt ein unüberwindbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebnis oder Zustand. Diesem Ansinnen werden alle anderen rationalen Argumente untergeordnet. Die Abhängigkeit kann dazu führen, dass der Person soziale Nachteile entstehen.
Da es eine Vielzahl von Suchterkrankungen gibt und diese sich in ihren Symptomen und Auswirkungen unterscheiden, möchte ich an dieser Stelle näher die Merkmale der Kaufsucht eingehen.
Wie äußert sich eine Kaufsucht?
Kaufsucht ist keine Erkrankung, die als offizielle Diagnose anerkannt wird. Nach Schätzungen sind in Deutschland fünf Prozent der Bevölkerung kaufsuchtgefährdet. Da das Kaufverhalten der restlichen 95 Prozent nicht als gesundheitlich schädlich eingestuft wird, halten sich die finanziellen Mittel zur Erforschung des problematischen Verhaltens in Grenzen. Meines Erachtens muss Konsum nicht erst pathologisch krankhaft sein, um als alltägliche Einschränkung zu gelten. Das Einkaufen, sei es das zwanzigste Schnäppchen, die neuesten Elektroartikel oder die teuersten Designerstücke, wird als in der Gesellschaft völlig normaler Lebenswandel betrachtet.
Der Konsum von Gegenständen gehört in unserer westlichen Welt ebenso zur Normalität, wie der von Zucker, Alkohol und Kaffee. Extrem sind die, die auf diese Dinge verzichten. Auch, wenn viele Menschen nicht per Definition an einer Kaufsucht erkrankt sind oder kurz davor stehen, so stellt das permanente Gefühl von “Haben-wollen” doch für fast alle ein Problem dar.
Nichtsdestotrotz wollen wir uns nun die Symptome etwas genauer anschauen, die herkömmlicherweise genutzt werden, um “normales” Kaufen von einem pathologischen Konsumverhalten zu unterscheiden.
Folgende Kriterien sprechen für eine Kaufsucht oder auch Shoppingstörung:
Die Gedanken des Betroffenen kreisen sehr oft um kaufbezogene Themen und Konsumgüter.
Beim Einkaufen entsteht wiederholt ein Kontrollverlust, der in wahren Kaufattacken mündet.
Das Kaufverlangen ist beim Einkaufen ausgesprochen intensiv.
Durch das ausgeprägte Kaufverhalten entstehen für den Betroffenen negative Konsequenzen. Diese äußern sich mitunter in Konflikten mit der Familie oder Freunden. Zudem folgen häufig berufliche und finanzielle Probleme, die in einer Verschuldung münden können.
Die ausgegeben Geldsummen greifen früher oder später die finanziellen Ressourcen der Betroffenen an.
Oftmals ist das Kaufen mit emotionalen Ursachen verbunden. Dazu zählen zum Beispiel Langeweile, Unmut, leichte Verstimmungen, Verdruss oder Unzufriedenheit. Der Kaufakt an sich wird dann als belohnend und Ego aufwertend empfunden.
Die Ware wird in einer nicht notwendigen Stückzahl erworben oder es werden Produkte gekauft, die generell nicht gebraucht werden. Unter Umständen werden diese Konsumgüter verstaut, verschenkt, vergessen oder sogar weggeschmissen.
Erinnern wir uns nochmal an das in der Einleitung beschriebene Beispiel. Nachdem, was du nun bereits über die Shoppingstörung gelesen hast, was würdest du sagen? Ist das Einkaufen Hobby oder Sucht? Ich selbst habe mich zu Beginn mit dem Begriff Kaufsucht schwergetan. Das erste, was einem dabei häufig in den Sinn kommt, ist eine hochverschuldete Frau, deren komplette Wohnung mit Designer-Pieces vollgestopft ist. Hat man dieses Bild vor Augen, ist es leicht zu sagen: “Es kaufen ja alle so viel. Das ist völlig normal. Ich will mir doch auch mal etwas gönnen. Solange es nicht soweit kommt…”
Wie findest du heraus, ob das Einkaufen Hobby oder Sucht ist?
Mittlerweile hat sich meine Vorstellung einer kaufsüchtigen Person jedoch gewandelt. Gemessen an den Kriterien, die für eine solche Erkrankung sprechen, reichen weniger dramatische Konsequenzen aus, um festzustellen, dass etwas aus dem Ruder läuft. Zur besseren Veranschaulichung möchte ich dir kurz einige Beschreibungen meines damaligen Alltags geben.
Immer, wenn ich ein neues Kleidungsstück in einem Newsletter oder auf Instagram gesehen habe, konnte ich an nichts anderes mehr denken, bis ich dieses endlich in den Händen hielt. Das geht mir leider heute noch manchmal so. Daher hilft es mir sehr, vorübergehend auf Insta zu verzichten. Für mich war es völlig normal, dass Bestellungen von einem oder zwei Teilen letztendlich auf einen Warenkorb von 1.000 EURO hinausliefen.
Die Berge an Klamotten führten nicht selten zu Streit in der Familie. Zum Glück kam dabei nie ein größerer Schuldenberg zusammen. Dennoch verwendete ich oft mein Erspartes, um zu Shoppen und reizte fast jeden Monat den Dispo aus. Zu oft musste ich mit dem neuen Gehalt direkt die offen gebliebenen Rechnungen des letzten Monats bezahlen. Häufig erfolgten Käufe aus dem Wunsch nach Anerkennung und der Jagd nach einer Idealvorstellung meiner Selbst heraus.
Oft wollte ich mich mit meinen Käufen selbst belohnen und solange noch Geld da ist, kann ich dieses genausogut ausgeben. Nach dem Shopping landeten die Stücke häufig im Schrank, wo ich sie auf der Suche nach dem nächsten wunderschönen Kleidungsstück direkt wieder vergaß. Ich habe einen Pullover in sechs verschiedenen Farben und auf “Vorrat” identische Röcke gekauft, da diese gerade im Sale waren. Die Kleidungsstücke, die noch ein Preisschild trugen, bevor ich die aussortiert habe, sind an vier Händen nicht mehr abzuzählen.
Du siehst, auch, wenn ich nicht das Klischee einer verzweifelten Peter Zwegat Mandantin entspreche, stellte sich bei mir die Frage: “Einkaufen – Hobby oder Sucht?” nicht mehr. Mein Kaufverhalten entsprach vielleicht noch der in der Gesellschaft akzeptierten Norm, doch bedeutete es für mich Einschränkungen, emotionalen Stress und enormen innerlichen Druck. Mittlerweile habe ich meine Finanzen gut im Griff und gebe weniger Geld für sinnlosen Kram aus. Dennoch muss ich mich stets immer wieder selbst reflektieren, um nicht in alte Verhaltensmuster zu fallen
Nun kannst du für dich selbst überprüfen, inwiefern diese Punkte auf dich zutreffen. Selbst, wenn du möglicherweise nicht alle Kriterien für eine Kaufsucht erfüllst, kann es dennoch sein, dass du unzufrieden mit deiner Beziehung zu Geld und deinen Finanzen bist, dass das Einkaufen und die Dinge, die sich bei dir horten dich belasten oder, dass du versuchst andere Gefühle mit dem Shoppen zu überspielen. Das kannst nur du allein herausfinden. Schau achtsam auf dich und deine Emotionen. Sei dabei ehrlich zu dir selbst und erlaube dir genauer hinzuschauen.
Wie fühlst du dich gerade mit deinem Kaufverhalten? Bist du zufrieden mit deiner finanziellen Situation? Schreib es mir gern in die Kommentare. Ich freue mich von dir zu lesen 🙂
Ich würde hier jetzt gern schreiben, dass das jetzt ein hypothetischer Beitrag ist, aber leider ist dem nicht so. Der Siegesrausch über meine gewonnene ein Jahr #noshoppingchallenge hielt leider nur sehr kurze Zeit an, beziehungsweise hat mich übermütig gemacht. Als ich noch dachte ich hätte es im Griff, geriet schon alles aus den Fugen.
Warum hatte ich einen Rückfall in die Kaufsucht?
Ich bin kein Psychologe oder Verhaltensforscher, daher kann ich mich diesem Problem nur aus einer sehr subjektiven Richtung nähern. Dass ich einen so starken Rückfall hatte, hat für mich folgende Ursachen. Zum einen denke ich, dass der Aufschub über das vergangene Jahr sehr große Willenskraft gekostet hat und diese war nun nach über 12 Monaten einfach aufgebraucht. Zum anderen sind in meinem Kopf die alten Gewohnheiten und die Verknüpfung zwischen Shoppen und dem dadurch ausgelösten Glücksgefühl einfach noch so stark, dass, wenn ich einmal nicht aufpasse direkt wieder in alte Verhaltensmuster falle. Mein Mindset hat sich einfach wieder geändert von: “Nein, ich darf nichts kaufen. Ich muss dieses eine Jahr durchhalten.” auf: “Na jetzt darf ich ja wieder. Nur diese eine Bestellung noch.”
Alles fing auch damit an, dass ich mit meinem Mann tatsächlich offline einkaufen war. Ich dachte dabei kann ja auch nichts schlimmes passieren. Ich will ja nur mal gucken. Der Klassiker des Selbstbetrugs. Jedenfalls stöberte ich mich dann durch alle Läden und wurde (leider) auch recht häufig fündig. Ein Rock hier, ein Schal dort, und den kuscheligen Pulli nehme ich auch noch mit. Brauch man doch jetzt auch, wenns kalt wird. Natürlich ist ein richtiger Kaufrausch nichts, ohne die entsprechenden online Bestellungen. Mir schwirrten da seit Wochen schon einige Teile im Kopf herum, die ich so in den Läden nicht gefunden hatte, also wurde geklickt und gescrollt was das Zeug hielt. Was genau dabei herausgekommen ist, kannst du weiter unten nachlesen.
Wie sah mein Rückfall aus?
Vielleicht haben die einen oder anderen von euch es ja mitbekommen. Vor circa zwei Wochen startete wieder die jährliche Glamour Shopping Week. Für mich leider der Anlass zu einer absoluten Eskalation. Das schizophrene daran ist, dass ich mir folgender Dinge absolut bewusst war:
Mit Rabatten sparst du nicht, sondern du gibst natürlich trotzdem Geld aus
Die Rabatte sollen dich nur triggern, um noch mehr zu kaufen
Rabatte kommen immer wieder
Du übertreibst, so viele Sachen kannst du gar nicht brauchen
Du verfällst in alte Muster
Du hast gar nicht so viel Geld, um das alles zu bezahlen
Was sagt dein Mann, wenn wieder hunderte Paket eintreffen?
Du handelst gerade allem, was du im letzten Jahr gelernt hast, zuwider
Auch, wenn du das alles zurückschickst, mussten dafür trotzdem sinnlos Pakete ausgeliefert werden
Trotz all dieser Gedanken konnte ich einfach nicht aufhören. Ich habe mal ausgerechnet wie viele Pakete ich bestellt habe, welche Kosten das verursacht hat und was ich letztendlich davon behalten habe. Und das alles innerhalb einer Woche.
Wie bereits beschrieben fing alles mit dem offline Einkauf an. Dieser sah wie folgt aus:
Wo?
Was?
Wie viel?
H & M
Pullover, Hemd
42,48 EUR
s.Oliver
Hemd, Schal, Rock
109,98 EUR
Peek & Cloppenburg
Rock
29,99 EUR
Hunkemöller
3 x BH
45,98 EUR
Das heißt wir haben bei unserer kurzen Shoppingtour insgesamt 228,43 EUR ausgegeben.
Dann ging es weiter mit den online Bestellungen:
Wo?
Was?
Wie viel?
Behalten?
Kosten?
H & M
3 x Kleid dreireihige Kette, Longbluse
92,95 EUR
Kette, Longbluse
26,55 EUR
Mango
2 x Kleid, Sweatshirt, Leggins
117,96 EUR
Kleid, Leggins
51,98 EUR
Zalando
7 x Pullover, Rock, Schuhe, 2 x Kleid
423,86 EUR
Pullover
24,99 EUR
About You
3 x Pullover, 3 x Schuhe
301,38 EUR
Pullover, Schuhe
72,16 EUR
Kapten & Son
3 x Brillen
243,95 EUR
2 x Brillen
142,40 EUR
Luckyme online
Strickmantel, Kleid, Pullover
129,70 EUR
Kleid
44,90 EUR
Calzedonia
3 x Strumpfhose
30,28 EUR
3 x Strumpfhose
30,28 EUR
Asos
2 x Leggins, Lederjacke, Kleid
154,37 EUR
–
Nakd
Blazer, Bluse, Hose
119,88 EUR
–
Diese Sachen kamen insgesamt in 13 Paketen. In meinem Kaufrausch habe ich online innerhalb weniger Tage für sage und schreibe insgesamt 1.614,33 EUR Bekleidung bestellt. Mir wird jetzt in dieser Sekunde erst bewusst, wie viel das ist. Auch, wenn ich davon nicht alles behalten habe, ist es nichtsdestotrotz ein enorm hoher logistischer und umweltschädigender Aufwand, der da betrieben wurde und definitiv ein Rückfall in die Kaufsucht. Behalten habe ich Waren im Wert von 393,26 EUR. Rechne ich jetzt noch den Betrag von 228,43 EUR vom Kaufhausbummel dazu, komme ich auf unglaubliche 621,69 EUR.
621,69 EUR, die ich innerhalb weniger Tage nur für Bekleidung, Schuhe und Accessoires ausgegeben habe.
Ich wollte gerade schreiben: “Bitte sagt mir nicht, dass ich die Einzige bin, die so ist.” Aber ich muss sagen, dass ich mir wirklich wünschen würde, dass nur sehr wenige Menschen mit so etwas zu kämpfen haben. Jedoch befürchte ich, dass es doch eher umgekehrt ist.
Wie geht es weiter?
Wie nach einem fetten Weihnachtsessen, an dem man sich schwört im neuen Jahr direkt wieder mit dem Sport anzufangen, habe ich mir wenige Tage nach dem Rückfall geschworen, wieder ein halbes Jahr eine Shoppingpause einzuhalten. Denn anscheinend bin ich ein Mensch der in Extreme verfällt. Ich kenne kein Maß. Bei mir gibt es entweder nur ganz oder gar nicht. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Jedoch fällt es mir gerade wieder sehr schwer mir ein solches Verbot aufzuerlegen, auch, wenn mir spätestens nach dem letzten Shoppinganfall klar sein müsste, dass es nicht anders geht. Direkt heute morgen habe ich wieder in einem Newsletter ein Kleid entdeckt, dass ich unbedingt haben wollte. Sofort habe ich gegoogelt, wo sich die nächste Filiale in meiner Nähe befindet. Ich will ganz ehrlich sein, ich weiß noch nicht, ob ich es kaufen werde oder nicht. Ich weiß auch noch nicht, ob ich wieder ein halbes oder vielleicht auch wieder ein ganzes Jahr ohne einzukaufen (Gott klingt das krank, dass Nicht-Einkaufen für mich eine der größten Herausforderungen ist) durchstehen „möchte“. Darüber muss ich mir die nächsten Tage erstmal im Klaren werden. Nur eines ist mir bewusst, so wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Ich halte weiterhin an meinen Vorsatz fest:
Hach die Weihnachtstage stehen vor der Tür. Ich mag die Vorweihnachtszeit, die Musik, die Gerüche, den Lebkuchen und die Gemütlichkeit, die sich während dieser Zeit einstellt. So auch bei mir und meinem Mann. Wir haben, bevor wir den Roadtrip zu diversen Verwandten antreten, noch einige Tage für uns, die wir einfach entspannt zu Hause verbringen können. Wir haben Zeit. Das ist schön, endlich kann man die Dinge tun, die sonst im Alltag entweder einfach zu kurz kommen oder komplett liegen bleiben. Gitarre spielen, lesen, malen…diese Dinge eben.
Titelbild: Unsplash / Heidi Sandstrom. / 2019
Ich bin sofort in mein altes Verhalten zurückgefallen
Leider bin ich, wie auch anhand meiner Vergangenheit zu sehen, ein doch manchmal schwaches Wesen. Ich hab nun plötzlich so viel Zeit, dass mein Finger doch immer wieder öfter über der Instagram-App schwebt. Mit Schweben meine ich, ich tippe drauf und hänge für mehrere Stunden in der inszenierten, glitzernden Pastellwelt fest, in der Reisen und Besitz als das höchste Maß der Dinge angepriesen werden. Ich will Instagram hier nicht verteufeln, ich benutze es selbst immer noch ab und an, um mich einfach mal berieseln zu lassen, jedoch sollte man sich diese Tatsachen hin und wieder bewusst machen, dass das eben mehr Schein als Sein ist. Also scrolle ich so durch die fantastischen Leben, der Influencer, denen ich folge und im Prinzip bleibt mein Blick jedes Mal an den gleichen Dingen hängen: Pullover, Jacken, Röcke, Schuhe. Das ist alles was ich sehe. Selbst mein Mann, der sonst nur selten einkauft und das auch wirklich nur, wenn er etwas braucht, hat sich gerade einen neuen Pulli gekauft, mit süßem Norweger-Muster, der perfekt zur Jahreszeit passt. So einen will ich auch, denke ich mir neidisch und ein bisschen beleidigt. Gutmütig wie mein Mann ist, schlägt er mir vor, dass ich mir doch auch einen kaufen könnte. Ich war doch jetzt schon so eisern die letzten Wochen und da würde dieser eine Pullover doch nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Gut, denke ich, hatter ja recht. Hmmmm…na dann schauen wir doch mal. Ich hab ja auch Zeit, also mein Interesse wandert zu den üblichen Verdächtigen. About you, Zalando und Asos zeigen sich wieder als die treuen Freunde, die sie immer waren, auch, wenn ich sie jetzt ein paar Wochen ignoriert habe.
Unsplash / Fancycrave / 2019
Ich klicke, ich scrolle, ich klicke, ich packe auf die Wunschliste, ich scrolle, ich klicke….eine Stunde…zwei Stunden…sechs Stunden…acht Stunden. Mittlerweile ist meine Wunschliste bei About You voll, das geht aber auch echt schnell bei denen. Narv! Na ja dann packe ich eben die Artikel direkt in den Warenkorb, geht ja auch. Dass ich nur nach einem einzigen Pullover schauen wollte, habe ich längst vergessen. Mittlerweile schwirren mir so viele, durch Instagram inspirierte, Outfits durch den Kopf, die ich unbedingt brauche.
Die Strickteile zur Zeit sind auch einfach absolut habenswert. Ich brauche sie unbedingt. Also geht das Spiel direkt am nächsten Morgen weiter. Ich klicke, ich scrolle… Ich wechsel die Online-Versandhändler. Dazu schaue ich mir sogar mehrere Fashion-Hauls auf Youtube an, um auch genau zu sehen, wie die unterschiedlichen Stoffe, Farben, Schnitte sind.
Ich habe es geschafft, kurz vorher die Notbremse zu ziehen
Am Ende von Tag zwei, nachdem ich mich nun schätzungsweise 16 Stunden durch diverse Online-Shops gewühlt habe, bin ich ziemlich ausgelaugt und gleichzeitig aufgekratzt, aufgrund der vielen schönen Dinge, mit denen ich mir die letzten Tage die Augen verblitzt habe. Ich lasse noch eine Nacht verstreichen und freue mich über die viieeeelen vielen Schätzchen, die nun in meinem Warenkorb gelandet sind und teilweise auch noch runtergesetzt waren, was ich da sparen würde! Kleine Anmerkung des klaren Verstandes, wenn du Geld ausgibst, auch, wenn das was du dir kaufst noch so reduziert ist, hast du niemals gespart. Wenn du das was du kaufst nicht zwingend benötigst, ist das Geld weg und nicht gespart. Am nächsten Morgen lasse ich mir die ganze Sache nochmal durch den Kopf gehen. Und hier passiert das Unglaubliche, das womit ich niemals gerechnet hätte. Plötzlich habe ich keine Lust mehr auf das ganze Zeug, nicht mal mehr auf den Pulli, weswegen ich diesen Marathon erst gestartet habe. Ich will diesen Kram nicht. Mein Kleiderschrank, unsere Wohnung ist voll mit Kram. Ich fasse den Entschluss, dass ich das alles nicht brauche. Nicht noch mehr, nicht jetzt. Außerdem kommt die Angst, dass selbst, wenn ich jetzt nur diesen einen Pullover kaufen würde, ich den Fluch entfesseln, die Büchse der Pandora öffnen und hoffnungslos wieder in mein altes Verhalten zurückfallen. Und das wollte ich auf keinen Fall. Also tief durchatmen, alle Tabs und Apps schließen und sich ablenken. Ein Glück sind wir dann auch schon auf dem Weg zu unseren Verwandten und mein zuvor überwältigendes Verlangen nach Klamotten lässt vorerst langsam nach.
Hallo Zusammen, mein Name ist Jessi, ich bin 28 Jahre alt und ich habe ein Problem. Ich kaufe einfach zu viel. Einige oder vielleicht sogar viele von euch kennen das sicher. Diesen einen Gedanken, der sich manchmal festsetzt und wie einem das letzte Puzzleteil zum Glück erscheint: dieses eine Stoffteil muss ich mir noch unbedingt haben, dann ist alles perfekt.
Es ist auch wirklich nur noch dieses eine Kleidungsstück, das mir noch fehlt, was auf dem Insta-Foto einfach grandios aussah. Den Rest für das Outfit hab ich bereits, aber ich brauche unbedingt noch diesen einen Pulli, jene Shorts oder das eine Paar Pumps, damit es mindestens so stylisch aussieht, wie ich es im Netz gesehen hab. Doch ist das schon Kaufsucht?
Der Klamottenkauf hat mich über den Tag gerettet
Den ganzen Tag hält mich nur dieser eine Gedanke über Wasser: “Nach der Arbeit kann ich ja schnell diesen einen Pullover kaufen, den ich gerade im Newsletter gesehen habe. Danach gehe ich direkt wie geplant zum Sport!” Mein Fitnessstudio befindet sich direkt in einem der größten Shoppingcenter Berlins. Wow, wie praktisch für mich!
Die Aussicht auf den kommenden Einkauf, ist das Einzige, was mich überhaupt erst motiviert zum Sport zu gehen. Ganz hinten in meinem Kopf, hinter dieser alles überstrahlenden Vorstellung des perfekten Outfits, ist so ein winziges, kleines nagendes Gefühl, so ein dumpfes Pochen. Ach ja, Gewissen heißt das bei den meisten Menschen und natürlich meldet sich das auch bei mir…
“Dir ist schon klar, dass du dir das eigentlich nicht leisten kannst, weil du gestern erst, als du eigentlich zum Sport wolltest, schon zwei Pullis gekauft hast?!”
“Ach komm schon, das geht schon irgendwie, du hast doch gespartes Geld, dann nimm doch eben das.
“Aber du weißt schon, dass Näherinnen ausgebeutet werden und die Umwelt verpestet wird, nur damit du wieder ein Teil mehr in deinen Kleiderschrank pfropfen kannst, das du nach zwei Tagen eh wieder vergessen hast?!”
“Ruhe jetzt, es ist doch auch nur noch dieser eine Pulli, der mir noch fehlt, nur noch dieser eine Pulli….”
So diskutieren Engel und Teufel links und rechts von mir, während ich munter in den Laden spaziere.
Was ist Kaufsucht?
Kaufsucht ist keine eigenständige Diagnose, sondern wird zu den Störungen der Impulskontrolle gezählt. Diese kann sich unter anderem mit folgenden Symptomen äußern:
das Kaufverlangen ist ausgesprochen intensiv
es besteht wiederholt ein Kontrollverlust beim Einkaufen
häufig wird Ware in einer Stückzahl erworben, die nicht notwendig ist
es werden Konsumgüter gekauft, die nicht gebraucht werden
Gekauftes wird schnell vergessen, verstaut, verschenkt oder sogar entsorgt
der Einkauf erfolgt aus einem emotionalen Grund und wirkt daraufhin belohnend
aus dem Kaufverhalten entstehen negative Konsequenzen, wie Konflikte mit der Familie und Freunden sowie finanzielle Probleme und Verschuldung
die verwendeten Geldsummen brauchen früher oder später die finanziellen Ressourcen der Betroffenen auf
Herzlichen Glückwunsch! Sie haben die volle Punktzahl erreicht. Ich erkenne mich in jedem dieser acht Verhaltensmuster wieder.
Ich habe meine Einkäufe vor anderen verheimlicht
Der Stapel an Kleidungsstücken auf meinem Arm wird immer höher. Berauscht stürme ich in die Umkleidekabine. Ich probiere die ersten Teile an. “Wow sieht der gut aus.” Der Pulli ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe, perfekt. Meine Augen leuchten, mein Gesicht strahlt, ähnlich einer 14-jährigen, die gerade ihre einzig wahre Lieblingsband zum ersten Mal auf der Bühne sieht.
Mein Problem ist nur, ich habe nicht nur eine Lieblingsband, es sind mittlerweile plötzlich fünf. Ich habe mich gerade in fünf Kleidungsstücke verliebt. Und ich bin mir ganz sicher, dass ich ohne diese nicht mehr weiterleben kann. Ich ziehe alles noch mal an und überlege, ob ich das wirklich alles kaufen soll und wie ich das Zeug am besten zu Hause vor meinem Mann verstecke.
Eigentlich ist das eine meiner größten Sorgen, nicht, dass dabei so viel Geld flöten geht, sondern, ob mein Mann seine Drohung bald wahr macht und die Scheidung einreicht, wenn ich nicht bald aufhöre, den zwanzigsten Rock und die zehnte Tasche in der gleichen Farbe zu kaufen. Von welchem Geld ich die Sachen bezahle, hatte ich ja bereits längst abgehakt.
Ich überlege also, wann mein Mann nicht zu Hause ist, was gar nicht so einfach ist, da er aufgrund seines Berufes, viel von zu Hause aus arbeitet. “Da war doch diese eine längere Konferenz morgen, perfekt!Ich lagere die Sachen einfach so lange im Auto und schmuggle sie dann später heimlich in die Wohnung. Puhhh, so kann’s klappen.Super!”, denke ich und schlendere gemütlich mit meinen neuen Schätzen zur Kasse. “Zahlen bitte!” Allein diese Gedankengänge machen mich zu einem potenziellen Kandidaten für eine ausgewachsene Kaufsucht.
Wieder einmal habe ich zu viel gekauft
Zum Sport kann ich an diesem Tag leider nicht mehr gehen, denn das Kaufen dieses “einen Pullis” hat mich über 2,5 Stunden gekostet, aber Shopping ist ja auch cardio! Ernsthaft?! Warum muss ich mich eigentlich rechtfertigen?! Ich bin erwachsen, ich kann tun und lassen, was ich will. Ich fahre mit meiner Beute nun nach Hause, glücklich und zufrieden. Fürs Erste, denn morgen ist ein neuer Tag, mit neuen Instagram-Posts, mit neuen Outfits, mit neuen stylischen Teilen, mit neuen Wünschen und mit neuen Ich-muss-haben-Gedanken.
Und die Moral von der Geschicht: Ich hab ein Problem, ich verlier die Übersicht! Eine Kaufsucht wollte ich mir nicht eingestehen, doch, dass ich ein Problem habe, wird mir immer klarer. Falls du dich zwischendurch beim Lesen gefragt haben solltest: “Warum geht sie zum Einkaufen eigentlich in ein Shoppingcenter? Online Sachen zu bestellen, ist für mich noch viel verlockender!”, dann sei dir gesagt, dass ich über diesen Punkt längst hinaus war. Das Offline-Shopping war für mich nur eine Methode, um die ganze Paketflut zu vermeiden, die deutlich schwieriger zu verheimlichen ist.
Die 1.600 EURO Autorechnung
Die Summe von rund 1.600 EURO leuchtet mir schwarz auf weiß unheilvoll entgegen.“Auto beginnt mit A und endet mit O.” Ja, vielen Dank liebes Hirn, dass du immer wieder mit derlei Weisheiten glänzt! Diese Rechnung wird den größten Teil meiner ohnehin mickrigen Ersparnisse aufbrauchen.“Dann kannst du den Rest gleich auch noch ausgeben! Jetzt ist es eh egal.”, ist der erste Gedanke, der mir dabei durch den Kopf schießt.
Die Kaufsucht schlägt wieder voll zu. Doch, da ist noch etwas. Neben dem Verlangen sofort alles für Klamotten auszugeben, wehrt sich auch etwas ganz vehement dagegen. “Ist es jetzt nicht mal langsam genug? Hast du nicht genug Pullover, genug Schuhe, genug Röcke? Genug von den Gewissensbissen, die mit jedem Einkauf einhergehen? Genug Geld für sinnlosen Kram ausgegeben?” Langsam, gaaaanz langsam versuche ich mich mit dieser Idee anzufreunden.
Ich versuche mich an den Gedanken zu gewöhnen, weniger einzukaufen
Ich google das erste Mal “keine Kleidung kaufen”. Über 51 Millionen Ergebnisse spuckt mir die Suchmaschine aus. Ich lese verschiedene Blog-Artikel, die in alle etwa so klingen: “Ein Jahr, ein Kleid”, “Warum ich keine Klamotten mehr kaufe”, “Ich kaufe ein Jahr lang keine neue Kleidung”. Zudem stoße ich auf das Buch “Ich kauf Nix” von Nunu Kaller und bestelle dieses kurzerhand.
Noch traue ich der ganzen Sache nicht. Also man soll sich ja kleine Ziele setzen. Schritt für Schritt und so. Aber ganz offensichtlich haben das bereits so viele andere Frauen schon geschafft und du willst jetzt kneifen? “Öhm ja, eigentlich hab ich darauf gar keinen Bock. Ich finds nämlich scheiße keine Klamotten mehr zu kaufen, ich will dem Konsum frönen!”, schreit meine Kaufsucht unüberhörar laut in meinem Kopf. So wie mir das schließlich mein ganzes Leben lang eingetrichtert wurde: “Nur der Konsum kann dich glücklich machen! Nur wer besitzt, ist vollkommen! Und Werbung hat immer Recht!” Klingt doch logisch oder?!”
Allmählich merke ich, dass da mit meiner Einstellung irgendwas gewaltig schief läuft. Für unsere Konsumgesellschaft bin ich so perfekt konditioniert, dass bei diversen Online-Shops sicher regelmäßig ein kleines Tischfeuerwerk abgefeuert wird, wenn ich mich gerade mal wieder auf deren Startseite bewege.
Dann geht alles ganz schnell
Mein Mann meinte mal, bei mir würde es ausreichen, wenn mir am Ende des Monats kein Gehalt ausgezahlt werden würde, sondern ich einfach nur Einkaufsgutscheine bekommen würde. Ja, Recht hat er, kam bei mir nur nicht an. Bis jetzt! Die kognitive Dissonanz zwischen euphorischem Glücksgefühl und dem beißenden schlechten Gewissen beim Kauf von Dingen, die man ja eigentlich unbedingt braucht, aber eigentlich auch nicht, zermürbt mich. Außerdem bin ich da auf etwas gestoßen, was mich derart reizt, das ich nicht kann, als eine andere Richtung einzuschlagen. Die neue Zauberformel lautet: ETF!
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