Hallo Zusammen, mein Name ist Jessi, ich bin 28 Jahre alt und ich habe ein Problem. Ich kaufe einfach zu viel. Einige oder vielleicht sogar viele von euch kennen das sicher. Diesen einen Gedanken, der sich manchmal festsetzt und wie einem das letzte Puzzleteil zum Glück erscheint: dieses eine Stoffteil muss ich mir noch unbedingt haben, dann ist alles perfekt. 

    Es ist auch wirklich nur noch dieses eine Kleidungsstück, das mir noch fehlt, was auf dem Insta-Foto einfach grandios aussah. Den Rest für das Outfit hab ich bereits, aber ich brauche unbedingt noch diesen einen Pulli, jene Shorts oder das eine Paar Pumps, damit es mindestens so stylisch aussieht, wie ich es im Netz gesehen hab. Doch ist das schon Kaufsucht?

    Der Klamottenkauf hat mich über den Tag gerettet

    Den ganzen Tag hält mich nur dieser eine Gedanke über Wasser: “Nach der Arbeit kann ich ja schnell diesen einen Pullover kaufen, den ich gerade im Newsletter gesehen habe. Danach gehe ich direkt wie geplant zum Sport!” Mein Fitnessstudio befindet sich direkt in einem der größten Shoppingcenter Berlins. Wow, wie praktisch für mich! 

    Die Aussicht auf den kommenden Einkauf, ist das Einzige, was mich überhaupt erst motiviert zum Sport zu gehen. Ganz hinten in meinem Kopf, hinter dieser alles überstrahlenden Vorstellung des perfekten Outfits, ist so ein winziges, kleines nagendes Gefühl, so ein dumpfes Pochen. Ach ja, Gewissen heißt das bei den meisten Menschen und natürlich meldet sich das auch bei mir…

    “Dir ist schon klar, dass du dir das eigentlich nicht leisten kannst, weil du gestern erst, als du eigentlich zum Sport wolltest, schon zwei Pullis gekauft hast?!”

    “Ach komm schon, das geht schon irgendwie, du hast doch gespartes Geld, dann nimm doch eben das. 

    “Aber du weißt schon, dass Näherinnen ausgebeutet werden und die Umwelt verpestet wird, nur damit du wieder ein Teil mehr in deinen Kleiderschrank pfropfen kannst, das du nach zwei Tagen eh wieder vergessen hast?!”

    “Ruhe jetzt, es ist doch auch nur noch dieser eine Pulli, der mir noch fehlt, nur noch dieser eine Pulli….”

    So diskutieren Engel und Teufel links und rechts von mir, während ich munter in den Laden spaziere.

    Was ist Kaufsucht?

    Kaufsucht ist keine eigenständige Diagnose, sondern wird zu den Störungen der Impulskontrolle gezählt. Diese kann sich unter anderem mit folgenden Symptomen äußern:

    • das Kaufverlangen ist ausgesprochen intensiv
    • es besteht wiederholt ein Kontrollverlust beim Einkaufen
    • häufig wird Ware in einer Stückzahl erworben, die nicht notwendig ist
    • es werden Konsumgüter gekauft, die nicht gebraucht werden
    • Gekauftes wird schnell vergessen, verstaut, verschenkt oder sogar entsorgt
    • der Einkauf erfolgt aus einem emotionalen Grund und wirkt daraufhin belohnend
    • aus dem Kaufverhalten entstehen negative Konsequenzen, wie Konflikte mit der Familie und Freunden sowie finanzielle Probleme und Verschuldung
    • die verwendeten Geldsummen brauchen früher oder später die finanziellen Ressourcen der Betroffenen auf

    Herzlichen Glückwunsch! Sie haben die volle Punktzahl erreicht. Ich erkenne mich in jedem dieser acht Verhaltensmuster wieder. 

    Ich habe meine Einkäufe vor anderen verheimlicht  

    Der Stapel an Kleidungsstücken auf meinem Arm wird immer höher. Berauscht stürme ich in die Umkleidekabine. Ich probiere die ersten Teile an. “Wow sieht der gut aus.” Der Pulli ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe, perfekt. Meine Augen leuchten, mein Gesicht strahlt, ähnlich einer 14-jährigen, die gerade ihre einzig wahre Lieblingsband zum ersten Mal auf der Bühne sieht. 

    Mein Problem ist nur, ich habe nicht nur eine Lieblingsband, es sind mittlerweile plötzlich fünf. Ich habe mich gerade in fünf Kleidungsstücke verliebt. Und ich bin mir ganz sicher, dass ich ohne diese nicht mehr weiterleben kann. Ich ziehe alles noch mal an und überlege, ob ich das wirklich alles kaufen soll und wie ich das Zeug am besten zu Hause vor meinem Mann verstecke. 



    Eigentlich ist das eine meiner größten Sorgen, nicht, dass dabei so viel Geld flöten geht, sondern, ob mein Mann seine Drohung bald wahr macht und die Scheidung einreicht, wenn ich nicht bald aufhöre, den zwanzigsten Rock und die zehnte Tasche in der gleichen Farbe zu kaufen. Von welchem Geld ich die Sachen bezahle, hatte ich ja bereits längst abgehakt.

    Ich überlege also, wann mein Mann nicht zu Hause ist, was gar nicht so einfach ist, da er aufgrund seines Berufes, viel von zu Hause aus arbeitet. “Da war doch diese eine längere Konferenz morgen, perfekt! Ich lagere die Sachen einfach so lange im Auto und schmuggle sie dann später heimlich in die Wohnung. Puhhh, so kann’s klappen. Super!”, denke ich und schlendere gemütlich mit meinen neuen Schätzen zur Kasse. “Zahlen bitte!” Allein diese Gedankengänge machen mich zu einem potenziellen Kandidaten für eine ausgewachsene Kaufsucht. 

    Wieder einmal habe ich zu viel gekauft

    Zum Sport kann ich an diesem Tag leider nicht mehr gehen, denn das Kaufen dieses “einen Pullis” hat mich über 2,5 Stunden gekostet, aber Shopping ist ja auch cardio! Ernsthaft?! Warum muss ich mich eigentlich rechtfertigen?! Ich bin erwachsen, ich kann tun und lassen, was ich will. Ich fahre mit meiner Beute nun nach Hause, glücklich und zufrieden. Fürs Erste, denn morgen ist ein neuer Tag, mit neuen Instagram-Posts, mit neuen Outfits, mit neuen stylischen Teilen, mit neuen Wünschen und mit neuen Ich-muss-haben-Gedanken.

    Und die Moral von der Geschicht: Ich hab ein Problem, ich verlier die Übersicht! Eine Kaufsucht wollte ich mir nicht eingestehen, doch, dass ich ein Problem habe, wird mir immer klarer. Falls du dich zwischendurch beim Lesen gefragt haben solltest: “Warum geht sie zum Einkaufen eigentlich in ein Shoppingcenter? Online Sachen zu bestellen, ist für mich noch viel verlockender!”, dann sei dir gesagt, dass ich über diesen Punkt längst hinaus war. Das Offline-Shopping war für mich nur eine Methode, um die ganze Paketflut zu vermeiden, die deutlich schwieriger zu verheimlichen ist. 

    Die 1.600 EURO Autorechnung

    Die Summe von rund 1.600 EURO leuchtet mir schwarz auf weiß unheilvoll entgegen. “Auto beginnt mit A und endet mit O.” Ja, vielen Dank liebes Hirn, dass du immer wieder mit derlei Weisheiten glänzt! Diese Rechnung wird den größten Teil meiner ohnehin mickrigen Ersparnisse aufbrauchen. “Dann kannst du den Rest gleich auch noch ausgeben! Jetzt ist es eh egal.”, ist der erste Gedanke, der mir dabei durch den Kopf schießt. 

    Die Kaufsucht schlägt wieder voll zu. Doch, da ist noch etwas. Neben dem Verlangen sofort alles für Klamotten auszugeben, wehrt sich auch etwas ganz vehement dagegen. “Ist es jetzt nicht mal langsam genug? Hast du nicht genug Pullover, genug Schuhe, genug Röcke? Genug von den Gewissensbissen, die mit jedem Einkauf einhergehen? Genug Geld für sinnlosen Kram ausgegeben?” Langsam, gaaaanz langsam versuche ich mich mit dieser Idee anzufreunden.

    Wie schaffe ich es weniger zu shoppen?
    Wie schaffe ich es weniger zu shoppen?

    Ich versuche mich an den Gedanken zu gewöhnen, weniger einzukaufen

    Ich google das erste Mal “keine Kleidung kaufen”. Über 51 Millionen Ergebnisse spuckt mir die Suchmaschine aus. Ich lese verschiedene Blog-Artikel, die in alle etwa so klingen: “Ein Jahr, ein Kleid”, “Warum ich keine Klamotten mehr kaufe”, “Ich kaufe ein Jahr lang keine neue Kleidung”. Zudem stoße ich auf das Buch “Ich kauf Nix” von Nunu Kaller und bestelle dieses kurzerhand. 

    Noch traue ich der ganzen Sache nicht. Also man soll sich ja kleine Ziele setzen. Schritt für Schritt und so. Aber ganz offensichtlich haben das bereits so viele andere Frauen schon geschafft und du willst jetzt kneifen? “Öhm ja, eigentlich hab ich darauf gar keinen Bock. Ich finds nämlich scheiße keine Klamotten mehr zu kaufen, ich will dem Konsum frönen!”, schreit meine Kaufsucht unüberhörar laut in meinem Kopf. So wie mir das schließlich mein ganzes Leben lang eingetrichtert wurde: “Nur der Konsum kann dich glücklich machen! Nur wer besitzt, ist vollkommen! Und Werbung hat immer Recht!” Klingt doch logisch oder?!”



    Allmählich merke ich, dass da mit meiner Einstellung irgendwas gewaltig schief läuft. Für unsere Konsumgesellschaft bin ich so perfekt konditioniert, dass bei diversen Online-Shops sicher regelmäßig ein kleines Tischfeuerwerk abgefeuert wird, wenn ich mich gerade mal wieder auf deren Startseite bewege.

    Dann geht alles ganz schnell

    Mein Mann meinte mal, bei mir würde es ausreichen, wenn mir am Ende des Monats kein Gehalt ausgezahlt werden würde, sondern ich einfach nur Einkaufsgutscheine bekommen würde. Ja, Recht hat er, kam bei mir nur nicht an. Bis jetzt! Die kognitive Dissonanz zwischen euphorischem Glücksgefühl und dem beißenden schlechten Gewissen beim Kauf von Dingen, die man ja eigentlich unbedingt braucht, aber eigentlich auch nicht, zermürbt mich. Außerdem bin ich da auf etwas gestoßen, was mich derart reizt, das ich nicht kann, als eine andere Richtung einzuschlagen. Die neue Zauberformel lautet: ETF!